«Ist mein Kind normal?»
Was für eine blöde Frage, oder? Warum sollten wir überhaupt so eine Frage stellen? Ich meine, sind nicht alle Kinder grossartig und liebenswert, und wer entscheidet überhaupt, was „normal“ ist? Trotzdem finden sich viele von uns dabei, sich die Frage zu stellen: „Ist es normal, dass mein Kind…..?“, und sich über das Verhalten unserer Kinder Sorgen zu machen.
Obwohl wir es selten aussprechen, ist diese Frage latent präsent. Wir streben immer nach dem Besten für unsere Kinder und finden uns stellen öfter solche Überlegungen an, als es uns lieb ist.
Mit einem Jahr die ersten Schritte, gefolgt von Wutanfällen in der Autonomiephase und immer besser sprechen können – wir Eltern haben oft eine ungefähre Vorstellung davon, wie sich der Nachwuchs entwickeln sollte. Wie es normal wäre. Dabei schauen wir rechts und links und wundern uns, warum unser Kind sich scheinbar doch irgendwie anders entwickelt. Es ist langsamer, schneller oder entwickelt sich in einer unerwarteten Reihenfolge.
Da fragen wir uns, ob das Kind normal ist. Schon im Kleinkindalter machen wir uns Gedanken, wenn das Kind früher beginnt zu krabbeln, als andere und später zu sprechen beginnt. Wir fragen uns, ob es normal ist, dass das Kind sich schüchtern hinter uns versteckt an einem neuen Ort, statt auf Erkundungstour zu gehen – oder umgekehrt. Davon können wir uns verunsichern lassen und manche Eltern versuchen ihr Kind „normaler“ zu machen, indem sie es pushen, doch mit den anderen Kindern zu spielen oder ihm vorturnen, wie man sich vom Rücken auf den Bauch dreht.
In diesem Artikel
Unterschiedlich zu sein ist die Norm
Es ist vollkommen normal, dass sich Kinder alle unterschiedlich entwickeln. Ein Vorreiter, welcher dies auch mit wissenschaftlichen Studien zeigen konnte, war der Kinderarzt und Kindheitsforscher Remo H. Largo. Nachzulesen gibt es dies in seinen Büchern Babyjahre*, Kinderjahre* und Jugendjahre*. Largo konnte zeigen, dass es nicht nur im Tempo der Entwicklung riesige Unterschiede gibt, die alle als „normal“ anzusehen sind, sondern auch in der Reihenfolge der Entwicklung. Ebenfalls gibt es Kinder, die gewisse Schritt auslassen – auch das ist immer noch typisch für die kindliche Entwicklung.
Zusätzlich hat jedes Kind sein eigenes Temperament und eine einzigartige Kombination von Persönlichkeitseigenschaften. Einige Kinder können sich schon früh selbst beruhigen, andere benötigen viele Jahre die Co-Regulation von ihren Eltern, um mit den eigenen starken Gefühlen gut umgehen zu können. Es gibt Sensible, Extrovertierte, Ruhige, Verträumte, Introvertierte, Lebhafte, Schüchterne – das sind Eigenschaften, die zum Kind dazugehören. Für uns Eltern kann es herausfordernd sein, wenn wir uns in solchen Eigenschaften stark unterscheiden und wir das Gefühl haben, das Kind nicht richtig zu verstehen.
Auch wenn sich die meisten Eltern dessen bewusst sind, so werde ich doch oft gefragt, ob ein bestimmtes Verhalten normal sei. Das Kind ist lauter als andere, höre nicht, spreche spät – ja, das alles ist in der Norm und dennoch kann es manchmal hilfreich sein, genauer hinzuschauen.
Was bedeutet normal?
Was ist „normal“? Muss ein Kind in eine bestimmte Form passen? Wenn es Eltern sehr wichtig ist, dass ihr Kind in die Norm passt, haben sie ihre Fühler auf Vergleich eingestellt. Sie beobachten die Kinder im Umfeld und vergleichen diese mit ihren eigenen Kindern. «Machen die anderen das auch so?». An diesen Vergleichen ist nicht nur problematisch, dass alle Kinder ganz unterschiedlich sind und individuelle Persönlichkeitsmerkmale haben, sondern auch, dass wir von Aussen gar nicht so sehr beurteilen können, wie die anderen sind.
Wenn das eigene Kind von der vermeintlichen Norm abweicht, suchen wir (und auch andere) die Ursache oft bei den Eltern und deren Umgang mit dem Kind. Liegt der Fokus auf dem angeblichen Fehlverhalten der Eltern, können die individuellen Eigenschaften und die damit verbundenen Bedürfnisse der Kinder aus dem Blick geraten. Wir überlegen, wie wir uns anders dem Kind gegenüber verhalten müssen, um es zu „korrigieren“, statt zu schauen, welche Persönlichkeitsmerkmale es mitbringt und wie wir es unterstützen können.
Unsere eigene Geschichte und die gesellschaftlichen Erwartungen an unsere Kinder können uns davon ablenken, was die Kinder wirklich benötigen. Manchmal kann daraus ein ungünstiger negativer Kreislauf entstehen, beispielsweise wenn ein schüchternes Kind gedrängt wird, Dinge zu tun, die es überfordern und es dadurch noch unsicherer wird oder wenn einem aggressiven Kind mit Strenge statt mir Zugewandtheit begegnet wird und es ihm so nicht gelingt sich gut zu regulieren. Wenn wir versuchen Kinder in eine bestimmte Richtung zu bewegen, statt auf es einzugehen, kann dies zu Widerstand führen und damit verbundenem Streit und Stress.
Ein gesunder Selbstwert und mentale Stärke entwickeln sich dadurch, dass wir eine gute Beziehung zu den Kindern haben, ihre Eigenschaften annehmen, wie sie sind und nicht versuchen, die Kinder zu verbiegen. Denn alle Menschen sind unterschiedlich und das ist auch gut so.
Mein Kind ist doch wirklich anders
Wenn das eigene Kind seine Gefühle besonders stark auslebt, also sehr wütend oder traurig wird, aber auch Freude übermässig zeigt, können sich Eltern fragen: «Ist es eigentlich normal, dass …..». Es wird verglichen mit den Kindern der Bekannten, die schon mit 2 Wochen durchgeschlafen haben und sich sogar während der Autonomiephase jeweils nach ein paar Minuten wieder beruhigt haben. Mir gefällt hierzu der Begriff «gefühlsstark», welcher von Nora Imlau (du bist anders, du bist gut*) geprägt wurde. Etwa 20 % der Kinder passen in diese Kategorie und sie unterscheiden sich von anderen darin, dass sie ihre Gefühle besonders intensiv spüren und äussern, sensibel sind, viel Energie haben und sich mit Übergängen schwer tun.
Für Eltern ist das herausfordernd. Insbesondere, wenn noch viele eigene Themen offen sind. Eine Freundin von mir, welche ein gefühlsstarkes Kind hat, sagt immer: «Es ist wie eine Therapie, die ich nicht bestellt habe.»
Viele Überschneidungen gibt es zwischen den gefühlsstarken Kindern und den Hochsensiblen. Dieser Begriff wird ebenfalls noch nicht so lange verwendet und er beschreibt Kinder, die Reize von aussen sehr stark wahrnehmen und auch intensiver verarbeiten. Sie sind rasch überreizt und Dinge wie Lärm, helles Licht oder Menschenmengen können für sie Herausforderungen sein. Sie brauchen viel Ruhe und wollen nicht ständig etwas unternehmen.
Neurodivergenz und so
Gefühlsstarke und hochsensible Kinder sind zwar irgendwie anders, aber auch immer noch in der Norm oder an der Grenze davon, oder? Doch wo ist diese Grenze, sind neurodivergent Kinder mit ADHS, Dyslexie (Legasthenie), im Autismusspektrum oder Hochbegabte nicht normal? Etwa jede siebte Person zählt nicht zu den Neurotypischen – also so viele, dass es schon fast wieder normal ist, neurodivergent zu sein. Und doch sind die meisten Menschen (etwa 85 %) neurotypisch, das bedeutet, dass ihr Gehirn so funktioniert und Informationen so verarbeitet, wie es die Gesellschaft erwartet.
Wenn du das Gefühl hast, dass dein Kind vor Herausforderungen steht durch seine Eigenheiten und besonderen Merkmale, besprich dich mit der Kinderärztin oder dem Kinderarzt. Manchmal kann es viel Erleichterung bringen, wenn eine Diagnose gestellt wird, weil das Kind nun halt nicht neurotypisch ist oder sogar eine Behinderung hat (auch hier ist der Übergang fliessend und nicht alle sehen die Einteilung gleich). Auch ergeben sich möglicherweise besondere Fördermassnahmen, welche dein Kind und dich unterstützen können. Zögere also nicht, deine Fragen zu besprechen – ich finde: Lieber einmal zu viel fragen als einmal zu wenig.
Wer ist mein Kind?
Wenn wir merken, dass unser Blick darauf gerichtet ist, wie sich das eigene Kind von den anderen unterscheidet, lohnt es sich, uns auf das Kind auszurichten. Beispielsweise mit folgenden Fragen:
- Wer ist mein Kind eigentlich?
- Wie ist mein Kind? Was sind typische Eigenschaften und Eigenheiten?
- Was finde ich daran toll?
- War mein Kind schon immer so oder hat es sich verändert?
- Warum glaube ich, dass mein Kind anders sein sollte, als es ist?
- Was bedeutet für mich normal?
- Warum ist es mir wichtig, dass mein Kind in die Norm passt?
Hier zeigen sich oft Themen aus der eigenen Kindheit und unserer persönlichen Prägung. Das hat mir dem Kind nicht viel zu tun. Vielleicht wurdest du selbst als Kind ausgeschlossen und wünschst dir, dass dein Kind einfach Freunde findet? Doch dein Kind ist nicht du, eure Geschichten unterscheiden sich und es darf seine eigenen Erfahrungen machen. Vielleicht wurdest du von deinen Eltern bestraft, als du wütend wurdest und findest darum, dein Kind sollte nicht so viele Aggressionen zeigen. Das hat mehr mit dir als mit deinem Kind zu tun.
Hier hast du die Möglichkeit bei dir hinzuschauen, dich selbst zu stärken und für dich einen liebevollen Umgang mit deinem Kind und seinen ganz persönlichen Eigenschaften zu finden.
Bist du unsicher, wie du das hinbekommen sollst, kannst du dir dabei eine Unterstützung ins Boot holen. Jemand, vor dem oder der du offen reden kannst und du begleitet wirst, hinzuschauen. Vielleicht bin ich für dich die passende Person dafür – du erreichst mich unter goni@mamaleicht.ch oder du kannst in meinen Angeboten stöbern.
Hi, ich bin Goni. Ich bin Mama Coach, Mentorin für eine starke und ausgeglichene Elternschaft, Dozentin für Familien- und Kindercoaches. Auch bin ich selbst Mama von zwei Kindern.
Ich unterstütze Mütter, die sich wünschen, die Zeit mit ihren Kindern mehr geniessen zu können und die ihre Kinder einfühlsam begleiten möchten. Trotz anstrengender Tage, der Erwerbsarbeit, der Partnerschaft, dem Haushalt und was sonst noch so ansteht. Gemeinsam finden wir Möglichkeiten, wie sie den Umgang mit ihren Kindern finden, den sie sich wünschen, mit mehr Freude und weniger laut werden.
Gemeinsam finden wir die passenden Stellschrauben für dich und deine Familie, für eine Elternschaft, die zu dir passt. Und plötzlich geht alles viel leichter.