«Stop. Laufrad fahren nur mit Helm.» rufe ich und schon ist mein Kind raus aus dem Garten, auf der Quartierstrasse. Ich laufe hinterher und stoppe es.
Ich wiederhole mich: «Wir tragen immer einen Helm beim Laufrad fahren.» Etwas besseres fällt mir nicht ein. Das Kind beginnt zu schreien, will meine Hand vom Lenker lösen und weiterfahren.
«Neeeeeein. Loslassen!» Brüllt mein Kind und ich fühle mich hilflos. Immernoch fällt mir nichts besseres ein, als mich zu wiederholen.
Das Kind stürzt sich kreischend und quietschend theatralisch vom Laufrad, stösst sich beim Sturz die Schulter und bleibt weinend liegen.
In meinem Kopf drehen sich die Gedanken: Aber er weiss doch, dass wir nicht ohne Helm fahren. Hoffentlich bekommen das die Nachbarn nicht mit. So ein Drama wegen einer Selbstverständlichkeit. Mann, das nervt!
Ich steigere mich selbst in die Wut hinein.
Die meisten Eltern erkennen, dass selbst wütend, ungeduldig und genervt zu werden, bei Wutanfällen oder anderen grossen Emotionen unserer Kinder am allerwenigsten bringen.
Doch was tun?
Meist kommen die Wutanfälle doch genau dann, wenn wir sowieso keine Zeit oder keine Nerven dafür haben. Oder beides.
In diesem Artikel schauen wir uns an, was nicht hilft, um Wutanfälle bei Kindern entspannter zu meistern und was tatsächlich hilft.
In diesem Artikel
Warum «Jetzt reiss dich doch mal zusammen» bei Wutanfällen unserer Kinder nichts bringt
Ist dir auch schon mal ein «jetzt reiss dich doch mal zusammen» oder «tu doch nicht so doof» über die Lippen gekommen während eines Wutanfalles deines Kindes?
Keine Sorge, das passiert dein meisten Eltern. Auch wenn wir wissen oder zumindest irgendwie spüren, dass dies nicht hilft.
Doch warum nicht? Wir Erwachsenen müssen uns schliesslich auch zusammenreissen. Oder?
- Wenn ein Kind in einem Wutanfall ist, dann befindet es sich in einer Art Notmodus. Es hat dann keine Möglichkeit, um auf Vernunft oder erwünschtes Verhalten zurückzugreifen. Dieser Bereich des Gehirns ist schlicht nicht erreichbar.
- Ein kleines Kind hat die Fähigkeit der Impulskontrolle, die es dafür benötigen würde, noch gar nicht erlernt. Genau dazu braucht es unsere Unterstützung. Erst etwa mit 6 Jahren können Kinder ihre Impulse kontrollieren.
- Es gibt einen Grund, warum das Kind gerade einen Wutanfall hat. Würde es sich zusammenreissen, so würde sich das dahinterliegende Bedürfnis oder der angestaute Frust woanders entladen.
Mein Kind kann sich nicht zusammenreissen, wenn es neben dem Laufrad am Boden liegt. Es erlebt die Wut, die Verzweiflung, die Ohnmacht – diese Gefühle dürfen da sein. Für mich würde Zusammenreissen in dieser Situation bedeuten, genervt über mein Kind zu sein, dies jedoch nicht zu zeigen. Ich bin überzeugt, dass meine Kinder spüren, wenn ich das tue.
Ist Zusammenreissen für uns Erwachsenen die Lösung?
Wäre es sinnvoll und einfach für uns Eltern, uns zusammenzureissen, dann würdest du diesen Artikel wohl nicht lesen.
Dann würden wir uns während dem Wutanfall unseres Kindes zusammenreissen. Es würde uns zwar wütend machen, nerven oder ungeduldig werden lassen. Das würden wir unterdrücken und einfach total entspannt mit und bei dem Kind warten, bis der Wutanfall vorüber ist.
Du merkst schon, das kann nicht funktionieren. Trotzdem versuchen wir das oft im Umgang mit unseren Kindern, nicht nur im Zusammenhang mit Wutanfällen.
Warum?
Zusammenreissen ist nie eine nachhaltige Lösung. Es mag in gewissen Situationen durchaus sinnvoll sein, sich nicht dem ersten Impuls hinzugeben. Diese Fähigkeit nennt sich Impulskontrolle und ist erlernbar.
Hingegen bedeutet Zusammenreissen meist, dass wir schon genervt oder wütend sind. Wir wurden schon getriggert und versuchen nun unsere Gefühle zu unterdrücken.
Unterdrückte Gefühle gewinnen an Stärke und machen uns oft auch Angst. Die unterdrückte Wut tragen wir teilweise schon seit unserer Kindheit mit. Unter der Oberfläche brodelt es und manchmal schiesst die Wut in den ungünstigsten Momenten aus uns heraus.
Beispielsweise wenn sich das Kind an der Theke im Selbstbedienungsrestaurant nicht entscheiden kann. Dann bestellen wir die Spaghetti mit Tomatensauce für das Kind, obschon es diese nicht wollte. Das Kind wirft sich unter Tränen auf den Boden und die Mutter schreit «Jetzt sei doch nicht so wählerisch, andere Kinder haben gar nichts zu essen
Oje. Eine solche Situation habe ich kürzlich im Restaurant im Zoo beobachtet. Der Mama schien die Situation hinterher sehr unangenehm zu sein und sie hatte sich ihrem tobenden Kind zugewandt. Dieses hat noch eine ganze Weile weiter geschrien und geweint, gegessen hat es nichts.
Kennst du ähnliche Situationen? Zusammenreissen funktioniert einfach nicht.
Sagt der Kopf: «Du bist undankbar», «Was denken bloss all die anderen Personen», «Ich hätte es besser wissen sollen» usw. – dann wird es sehr schwierig, Ruhe zu bewahren.
Warum stressen uns Wutanfälle überhaupt so sehr?
Hast du dich schon mal gefragt, warum wir die Wutanfälle so unangenehm finden?
Ich erlebe bei mir selbst, in meinem Umfeld und bei meinen Klientinnen, dass die Gründe sehr unterschiedlich sein können.
Vielleicht ist es die eigene Wut, die wir unterdrücken und darum kaum aushalten, wie das Kind die Wut «einfach so» rauslässt. Wie wenn sich mein Kind auf den Boden wirft, weil es einen Helm tragen muss. Ich würde mich manchmal auch gerne auf den Boden werfen vor Wut, doch tue ich es nicht, weil ich keinen konstruktiven Umgang mit meiner Wut gelernt hatte. Mittlerweile kann ich das – wenn du auch einen neuen Umgang mit deinen Gefühlen lernen möchtest, melde dich gerne bei mir für ein kostenloses Kennenlerngespräch.
Vielen ist es unangenehm, wenn die starken Gefühle in der Öffentlichkeit zum Ausdruck kommen. Sie wundern sich, was die Anderen wohl denken und möchten die unangenehme Situation möglichst rasch beenden. Als mein Kind schreiend auf der Quartierstrasse lag, habe ich mich umgeschaut, ob die Nachbarn etwas mitbekommen.
Andere Eltern glauben, dass Wutanfälle bei Kindern ein Zeichen dafür sind, dass sie etwas als Eltern falsch machen. Würden sie es richtig machen, dann würde das Kind nicht so extrem reagieren. Wie die Mutter an der Theke, die sich selbst Vorwürfe macht, einfach etwas bestellt zu haben, was das Kind nicht wollte.
Vielleicht glaubst du auch, dass ein Kind ab einem gewissen Alter nicht mehr so lange wütend sein sollte.
Kinder können abwesend wirken, wenn sie so sehr in ihrer Wut gefangen sind und über längere Zeit nicht herausfinden. Dies kann uns Eltern Angst machen und wir glauben, wir müssten unsere Kinder da wieder rausholen. Wenn mein Kind nach 10 Minuten immer noch auf der Quartierstrasse liegt, frage ich mich: Und jetzt? Was kann ich noch tun, um mein Kind da wieder rauszuholen?
Vielleicht hat sich auch ein anderer Glaubenssatz eingeschlichen. So etwas wie:
- Mein Kind kann überhaupt nicht mit Frust umgehen.
- Wegen einer Kleinigkeit muss man sich doch nicht so aufführen.
- Wutanfälle müssten nicht sein, ich muss etwas dagegen tun.
- Dieses Verhalten ist nicht natürlich.
Kommt dir vielleicht etwas davon bekannt vor?
Und manchmal haben wir einfach nicht mehr viel Energie übrig, um die starken Gefühle unserer Kinder auszuhalten. Hole dir jetzt den Mama Energy Booster, um wieder etwas mehr Energie zu gewinnen.
Warum kommt es zu Wutanfällen bei Kindern?
Wutanfälle bei Kindern können ganz unterschiedliche Ursachen haben. Doch gemeinsam haben sie, dass sich Frust, Überforderung, Überreizung, Ohnmacht und unerfüllte Bedürfnisse akkumuliert haben und gemeinsam zu einer explosiven Mischung geführt haben.
Ich arbeite gerne mit dem Bild eines Fasses, welches wir mit uns herumtragen. Dieses leert sich während des Tages bei jeder Frustsituation, jedem «Nein», jedem Anpassen und Helm anziehen. Irgendwann ist es leer und nichts geht mehr. Darum ist es so wichtig, mit positiven Erlebnissen auch immer wieder in das Fass hineinzugeben (was nicht bedeutet, dass es dann nicht mehr zu Wutanfällen kommen würde).
Uns Erwachsenen ist oft gar nicht bewusst, welche Situationen Frust bei Kindern auslösen können. Darum kann für uns ein Wutanfall scheinbar aus dem Nichts oder wegen einer Kleinigkeit entstehen. Für das Kind ist es jedoch immer eine reale Situation und der Frust ist echt.
Kein Kind hätte einen Wutanfall, wenn es nicht müsste.
Goni Boller
Folgende Dinge können Wutanfälle auslösen:
- Etwas funktioniert nicht so, wie das Kind es sich vorgestellt hat
- Das Kind wird aus dem Spiel gerissen. Das tun wir sehr oft unbewusst, wenn wir das Kind zum Essen rufen, sagen, dass wir losmüssen oder auch nur, um eine Frage zu stellen.
- Das Kind ist in seiner Autonomie und Selbständigkeit eingeschränkt. Autonomie ist ein wichtiges Grundbedürfnis des Menschen.
- Das Kind erhält zu wenig Aufmerksamkeit und Zuneigung. Wie Autonomie ist auch Bindung ein wichtiges Grundbedürfnis.
- «Nein» – Darum lohnt es sich als Eltern nach Alternativen für das Wort «nein» zu suchen.
Hochsensible und gefühlsstarke Kinder können vermehrt zu Wutanfällen neigen. Die starke Wahrnehmung der Umgebung, ihre Willensstärke, der ausgeprägte Gerechtigkeitssinn, sowie ihre hohen Ansprüche führen während des Tages zu mehr Frustrationen.
Gleichzeitig kann es für uns hochsensiblen Eltern schwieriger sein, die Wutanfälle zu begleiten – aus sehr ähnlichen Gründen.
Was hilft nicht bei Wutanfällen deines Kindes?
- Eine Auszeit: Das Kind wegschicken, um sich zu beruhigen, hat nie den gewünschten Effekt. Zwar werden Auszeiten in verschiedenen Varianten leider immer noch hin und wieder empfohlen, doch schon lange ist bekannt, dass diese nicht «funktionieren». Die Idee dahinter ist, dass das Kind sich Gedanken macht, sich beruhigt und dann «weiser» zurückkehrt. Doch brauchen Kinder jemanden, der ihnen dabei hilft herunterzukommen und ihre Gedanken zu sortieren. In der Auszeit denken sie hingegen entweder, dass die Eltern doof sind oder dass sie selbst doof sind.
- Das Kind ignorieren: Das Kind zu ignorieren ist einer Auszeit ziemlich ähnlich, nur noch schlimmer. Zugehörigkeit ist für uns Menschen Überlebenswichtig. Ausgeschlossen zu werden kann sich anfühlen wie reale körperliche Schmerzen.
- Dem Kind zu sagen, es solle sich zusammenreissen: Dies haben wir Eingangs des Artikels schon betrachtet. Einerseits können Kinder dies oft gar noch nicht. Andererseits ist Gefühle Unterdrücken keine wünschenswerte Fähigkeit, die woanders zu Schwierigkeiten führen wird.
- Belehren: Auf die Bereiche des Gehirns, welche für die Vernunft zuständig sind, kann das Kind gerade nicht zugreifen. So wäre es sinnlos zu versuchen das Kind zu belehren.
- Erklärungen: Genau wie die Belehrungen laufen auch Erklärungen in diesem Zustand des Kindes ins Leere. Das Gehirn kann im Moment damit gerade nichts anfangen. Lernen können wir nur, wenn wir entspannt sind.
Warum nicht einfach Gefühle unterdrücken?
Kurzfristig kann es sich so anfühlen, dass es einfacher wäre, wenn unsere Kinder lernen könnten diese Wut einfach zu unterdrücken.
Doch auf lange Sicht möchten wir das nicht.
Vielleicht hast du selbst in deiner Kindheit gelernt Wut und Traurigkeit zu unterdrücken? Ich schon und es hat mich schon viele Stunden Arbeit mit diesem Thema gekostet, um mich langsam diesen Gefühlen wieder zu öffnen.
Wut hilft uns dabei, unsere Grenzen zu schützen, Entscheidungen zu treffen, für uns einzustehen und Ziele zu erreichen. Ich bin sicher, dir ist es wichtig, dass dein Kind all diese Dinge lernt.
Dann freue dich darüber, dass es seine Wut so gut ausdrücken kann. Sie wird eine wichtige Energiequelle in seiner Zukunft darstellen.
Kann sich dein Kind gut selbst regulieren?
Wenn du dich schon damit befasst hast, wie du dein Kind liebevoll stärken kannst, hast du vielleicht auch schon von Co-Regulation gehört.
Dies bedeutet, dass wir unser Kind dabei unterstützen starke Gefühle zu durchleben. Kinder können sich selbst noch nicht gut regulieren und benötigen unsere Unterstützung, um dies zu erlernen.
Kinder haben ganz unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeiten, um ihre Gefühle zu regulieren. Babies brauchen immmer eine andere Person, um sich zu beruhigen. Bei grösseren Kindern kann dies je nach Typ stark variieren.
Für diese Variation finde ich die Einteilung in regulationsstarke, bindungsstarke und gefühlsstarke Kinder von Nora Imlau sehr hilfreich. Sie hat dabei die Begriffe ‹low reactives›, ‹medium reactives› und ‹high reactives› aus der Forschung des Harvard Professors Jerome Kagan ins Deutsche gebracht.
Dabei handelt es sich um das Temprament, welches durch unsere Gene und frühen Erfahrungen beeinflusst wird.
Regulationsstarke Kinder können sich schon relativ früh selbst regulieren und sind nicht so offen für Reize. Die bindungsstarken sind eher mittelmässig fähig zur Selbstregulation und Reizoffen. Während die Gefühlsstarken Kinder sich nicht so gut selbst regulieren können und Reize, sowie Emotionen sehr stark wahrnehmen.
So werden Eltern mit regulationsstarken Kindern wohl eher nicht hier gelandet sein. Falls du denkst, du könntest ein gefühlsstarkes Kind haben, dann kann ich dir diesen Artikel ans Herz legen.
Ist dein Kind bindungsstark, so wird es auf die erwähnte Co-Regulation gut ansprechen und du kannst es so in seinem Wutanfall unterstützen. Ein gefühlsstarkes Kind wird viel Unterstützung benötigen, bis es selbst in der Lage ist, sich selbst zu regulieren.
Was hilft wirklich, wenn mein Kind ein Wutanfall hat?
Um starke Gefühle deines Kindes zu begleiten (Co-Regulation) braucht es:
- Die Umgebung ausblenden
- Die eigenen Gedanken beobachten
- Empathie und Feinfühligkeit: Was ist überhaupt los?
- Spiegeln und benennen der Gefühle des Kindes: Du bist wütend.
- Geduld: Keine Reaktion oder bestimmtes Verhalten erwarten.
- Einen Standardsatz zurechtlegen.
- Die Fähigkeit den Raum für das Kind zu halten: Nicht ablenken.
- Zugewandt bleiben: Nicht mit anderen Dingen beschäftigen.
1. Die Umgebung ausblenden
Was meine Nachbarn denken ist egal. Es spielt hier keine Rolle und es sollte keinen Einfluss auf mein Verhalten haben.
Manchmal handeln wir nicht entsprechend unserer eigenen Werte, nur weil die Umgebung negativ auf uns reagiert. Hier kann es helfen, dass eigene Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein zu stärken, sowie sich eine Affirmation bereitlegen, die dabei hilft, sich von der Umgebung abzugrenzen.
Alternativ kannst du Menschen in der Umgebung aktiv ansprechen – sozusagen eine Flucht nach vorn.
2. Die eigenen Gedanken beobachten
Steigern sich die eigenen Gedanken gerade in die Situation hinein? Interpretiere und werte ich?
Welche Gedanken wären hilfreicher?
Hilfreiche Gedanken während einem Wutanfall
- Mein Kind ist in einem Notzustand, es tut dies nicht, um mich zu ärgern.
- Wenn ich mein Kind jetzt unterstützte, so schenke ich ihm etwas für sein Leben.
- Das Kind ist überfordert und kann gar nicht anders handeln.
- Könnte mein Kind anders, dann würde es keinen Wutanfall haben.
- Wut und Trotz sind Bestandteile einer wichtigen Entwicklungsphase meines Kindes.
- Mein Kind kann seine Gefühle noch nicht selbst regulieren, sein Gehirn ist dazu noch nicht fähig. Es braucht meine Unterstützung, um dies zu lernen.
- Wie schön, dass mein Kind seinen Gefühlen so gut Ausdruck verleihen kann.
Ich bin davon überzeugt, dass die eigene innere Haltung den grössten Unterschied bei der Begleitung von Wutanfällen macht. Sie ist viel wichtiger als gut gewähle Worte. Mach dich nicht verrückt mit gewaltfreien Formulierungen. Was den Unterschied macht, ist das du bei deinem Kind bist.
3. Empathie und Feinfühligkeit
Beobachte dein Kind, je nach Situation möchtest du es vielleicht fragen, was los ist. Oft ist es jedoch sinnvoller nur zu beobachten und im nächsten Schritt die Gefühle zu benennen.
Welche Gefühle und Bedürfnisse drückt dein Kind mit seinem Verhalten aus? Liegt vielleicht ein grundlegendes Bedürfnis hinter einem Wunsch des Kindes, welcher nun nicht erfüllt werden konnte?
Du kannst dabei versuchen, dich in die Lage deines Kindes zu versetzen. Wie würde es dir gehen, wenn dir das passieren würde?
Wenn mir mein Partner hinterherlaufen würde mit meinem Fahrradhelm und sagen, ich dürfe ohne Helm nicht los – ich wäre nicht begeistert.
4. Spiegeln und benennen der Gefühle des Kindes
Statt einer Frage zu stellen kommt es beim Kind oft besser an, wenn du versuchst seine Gefühle zu benennen. Du sagst dann «Oh, ich sehe du bist wütend.» oder «Das hat dich ganz schön geärgert.»
Falls es nicht stimmt, kann dein Kind dir widersprechen und du versuchst es nochmals mit einer anderen Aussage.
Was hier manchmal schief läuft und das Kind noch wütender macht, kann eine übermässige ruhige Stimme oder Art sein. Das Kind ist wütend, es möchte keine säuselnde Stimme hören, die versucht, es zu beruhigen.
Empathie bedeutet wirklich nachzuvollziehen, dass die Wut da ist und der Wut zugestehen, dass sie zu Recht hier ist. Das darf man auch in der Stimmlage hören.
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5. Geduld
Vielleicht sagt das Kind nichts. Vielleicht sagt es «blöde Mama» oder «geh weg». Versuche vor allem bei einem kleineren Kind trotzdem in der Nähe zu bleiben, so dass das Kind wieder mit dir in Kontakt treten kann, wenn es soweit ist.
Erwarte nicht, dass dein Kind nun auf eine bestimmte Weise reagieren müsste, weil du beim spiegeln seiner Gefühle alles richtig gemacht hast. Es muss keine Reaktion kommen und die Reaktion, die kommt, ist genau die richtige für dein Kind.
Mein Sohn am Boden nebem dem Laufrad war in einer Notsituation. Er brauchte meine Anwesenheit, auch wenn er das nicht zum Ausdruck gab und mich sogar wegschuppste, als ich ihn streicheln wollte.
Also sass ich da. 10 Minuten lang auf dem Kiesweg einige Meter von unserem Haus weg. Sehr viel lieber wäre ich zuhause gewesen. Mir wäre lieber gewesen, etwas Schönes zusammen mit meinem Kind zu machen. Ich sprach innerlich mit meiner Wut, so konnte ich die Zeit auch für meine persönliche Entwicklung nutzen.
6. Standardsatz
Irgendwann kam eine Nachbarin heraus, die ich vorher ausgeblendet hatte, und fragte, ob alles in Ordnung sei. Mein erster Gedanke war, dass sie glaube, ich würde nicht selbst zurecht kommen, vielleicht sogar, dass ich mich nicht richtig verhalten würde. «Ja, wir kommen klar. Danke.» sagte ich, weil ich den Satz schon so verinnerlicht hatte.
«Wir kommen klar, danke.» Ist einer der Sätze, die ich mir zurechtgelegt habe für Fälle, wo ich keine Nerven, Zeit oder Hirnkapazität habe, um mir etwas zu überlegen.
Lege dir auch solche Sätze zurecht. 1-2 genügen für unterschiedliche Situationen.
Mein zweiter Satz ist: «Für uns stimmt es so.»
Weitere Ideen:
- Das entscheiden wir selbst.
- Ich finde es wichtig, mein Kind in allen Aspekten seiner Entwicklung zu begleiten.
- Danke für das Interesse, wir benötigen keine Hilfe.
- Wir machen es so, wie es zu uns passt.
Fallen dir noch weitere Sätze ein?
7. Den Raum für das Kind halten
Viele Eltern versuchen ihr Kind abzulenken in einem Wutanfall, damit dieser schneller vorüber geht. Dies mag manchmal funktionieren und kann auch mal praktisch sein, zum Beispiel wenn ihr draussen unterwegs seid. Doch wenn nicht alles raus konnte, was raus wollte, dann kommt es vielleicht einfach später zurück.
Raum halten bedeutet auch einfach da zu sein. Das Kind entscheidet, wann es bereit ist, auf dich zuzukommen und ob es das überhaupt möchte.
Mit dem Da Sein signalisieren wir unseren Kindern, dass wir sie lieben und für sie da sind, egal, was passiert.
8. Zugewandt bleiben
Bei einem langen Wutanfall kann die Versuchung gross sein etwas anderes zu tun. Kurz den Geschirrspüler ausräumen oder Nachrichten auf dem Handy checken. Doch dann ist es keine Co-Regulation mehr, sondern das Kind ist alleine in seiner Verzweiflung.
Freundlich dem Kind zugewandt sein, können wir auch in unserer Mimik ausdrücken. Ein freundliches (nicht lachendes) Gesicht und eine auf das Kind ausgerichtete Körperhaltung drücken aus – ich bin da.
Was du gut währenddessen tun kannst ist, die eigenen Gedanken zu reflektieren. Schauen, welche Gefühle bei dir vorhanden sind und was dir diese sagen möchten. Du kannst auch überlegen, was heute schon alles gut gelaufen ist, wann dein Kind kooperiert hat und ruhig geblieben ist – trotz eines Neins.
Und nach den starken Gefühlen?
Nimm dein Kind in den Arm, wenn es das möchte.
Sprich mit deinem Kind über Gefühle und über die Situation, wenn es das möchte.
Macht etwas völlig anderes, ohne nochmals auf den Wutanfall einzugehen, wenn es für euch passt.
Wichtig ist, alle Gefühle da sein zu lassen.
«Du warst gerade sehr wütend darüber, dass du nicht ohne Helm Laufrad fahren darfst. Du warst schon richtig im Schuss und wolltest schnell losfahren, dabei habe ich dich aufgehalten. Das hat dich geärgert. Das verstehe ich. Gleichzeitig ist mir deine Sicherheit sehr wichtig und darum möchte ich, dass du immer einen Helm trägst. Magst du jetzt den Helm anziehen und weiterfahren oder sollen wir nachhause gehen?»
Mein Sohn hatte sich entschieden nachhause zu gehen und das doofe Laufrad könne ich selber tragen. Was für mich auch völlig in Ordnung war.
Heute will mein Sohn hinterher oft gar nicht darüber reden. Wenn wir später einen ruhigen Kuschelmoment haben, spreche ich dann nochmals an, was mir wichtig ist. Manchmal erzählt er mir dann, wie es ihm ging oder was ihn geärgert hat. Wenn nicht, ist das auch ok.
Mehr Tipps zum Umgang mit Wutanfällen bei Kindern
Weiter kannst du dein Kind damit unterstützen, dass du mit ihm Bücher zum Thema Gefühle und Wut anschaust, mit ihm die verschiedenen Gefühlszustände besprichst und ihr mit einer Darstellung der verschiedenen Gefühle arbeitet.
Du findest Darstellungen der verschiedenen Gefühle im Internet und anhand dieser könnt ihr beginnen gemeinsam die Empfindungen zu benennen.
Möglich ist es auch einen «Wüterich» wie aus dem Buch «Willi und sein Wüterich«* im Geist oder auf Papier zu schaffen. So können die Gefühle von Aussen betrachtet werden, was einen anderen Umgang zulässt.
Wird mein Kind nun nicht immer einen Wutanfall haben, um zu bekommen, was es möchte?
Wenn das Kind einen Wutanfall hat, weil es den Schokoriegel im Supermarkt nicht bekommen hat. Dann ist es bestimmt nicht sinnvoll, ihm diesen dann jedes Mal doch zu kaufen.
Doch das ist auch nicht die Idee dahinter, einfühlsam auf das Kind einzugehen.
Nicht seine Wünsche sollen erfüllt werden (was nicht bedeutet, dass sie dies nicht auch mal dürfen). Doch die Wut darüber, dass nicht alle Wünsche erfüllt werden können, soll begleitet werden.
Empathisch zu sein bedeutet auch nicht, jedes Verhalten des Kindes zu akzeptieren. Wenn ein Kind in seiner Wut sich selbst oder jemand anderen verletzt, dann darfst und sollst du es davon abhalten. Später kannst du dies dann erklären. Dasselbe gilt, wenn das Kind etwas kaputt machen möchte oder Dinge herumwirft.
So habe ich mein Kind gestoppt, weil es mir zu gefährlich ist, wenn es ohne Helm Laufrad fährt. Ich habe seinen Wutanfall begleitet, doch durfte es weiterhin nicht ohne Helm fahren.
Tat es auch nicht, dafür habe ich nach dem Wutanfall das Laufrad und den Helm nachhause getragen.
Kannst du deine eigenen Gefühle gut regulieren?
Viele Eltern erkennen, wenn sie sich in der Co-Regulation ihrer Kinder versuchen, dass sie selbst gar nicht gelernt haben, ihre Gefühle zu regulieren.
Oft lenken wir uns dann ab und beschuldigen andere (zum Beispiel unsere Kinder), sie seien schuld, dass wir nun so wütend, traurig, enttäuscht, genervt, usw. sind.
Kennst du das auch? Ich auf jeden Fall und viele meiner Klientinnen auch.
Die gute Nachricht? Gefühle regulieren kann man auch als Erwachsene noch lernen.
Die schlechte Nachricht? Es braucht etwas Einsatz. Doch wie so oft bin ich völlig davon überzeugt, dass es sich lohnt. Hier haben wir die Möglichkeit gleich gemeinsam mit unseren Kindern zu lernen.
Möchtest du das angehen? Wir finden in einem Coaching deinen persönlichen Weg zu einem konstruktiven Umgang mit deinen Gefühlen. Melde dich bei mir unter goni@mamaleicht.ch.
Alternativ kannst du die Schritte zur Co-Regulation von oben bei dir selbst üben. Dann klappt es auch mit dem Kind viel einfacher.
- Empathie und Feinfühligkeit dir selbst und deinen Gefühlen gegenüber
- Bennene deine eigenen Gefühle: «Ich empfinde Wut» oder «da ist Traurigkeit»
- Sei mit dir selbst geduldig. Vielleicht fühlst du dich anfangs nur unwohl und kannst gar noch nicht so genau erkennen, was los ist
- Halte den Raum für dein Gefühl. Lass es da sein, ohne etwas verändern zu wollen.
- Bleibe dir selbst und dem Gefühl gegenüber zugewandt, versuche nicht dich abzulenken, sondern fühle hin.
Eine praktische Übung für den Umgang mit deinen eigenen Gefühlen
Welches Gefühl lässt du nicht zu?
Was befürchtest du, wenn du es zulassen würdest? Was könnte geschehen?
Versuche dich nun in dieses Gefühl hinein zu entspannen. Gib dich hinein, lass das Gefühl zu. Atme dazu ganz tief und langsam. Lass dir dabei Zeit, es gibt keine Vorgabe, wie lange es dauert, bis du etwas spürst und wie sich das anfühlen soll.
Was fühlst du? Wo im Körper kannst du es fühlen?
Und nun lasse die Emotion ziehen, wie ein Wölkchen am Himmel. Sage ihr, sie solle nun bitte weiterziehen. Sie könne auch jederzeit wieder zu dir zurückkommen, wenn es nötig sei.
Hat es geklappt und du konntest dich in die Emotion hineinentspannen? Wie war das verglichen mit deiner Befürchtung, was geschehen könnte?
Je öfter du diese Übung wiederholst, desto leichter wird es dir fallen. Damit ist es nicht etwa möglich unangenehme Gefühle ganz auszuschalten. Was du damit erreichst ist, dass keine Angst mehr vor deinen Gefühlen hast, du diese rascher wieder gehen lassen kannst und dich nicht lange mit ihnen aufhalten musst.
Es darf sich unangenehm anfühlen im ersten Moment. Aber du weisst, dass sich das Gefühl schon bald wieder verabschieden wird und du offen bist für etwas anderes. Vielleicht kommt es in regelmässigen Abständen zurück. Dann wiederhole diese Übung, bis die Emotion fertig gefühlt ist.
Goni Boller ist Mama Coach und Mentorin für Mütter, die sich mehr Gelassenheit und Freude im Familienalltag wünschen. Sie unterstützt mit ihrem Coaching, ihren Programmen und Seminaren Eltern, die mit ihren Kindern liebevoll und auf Augenhöhe umgehen möchten. Sie unterstützt sie dabei, nicht mehr laut zu werden und einen konstruktiven Umgang mit ihrer Wut zu finden. Das Selbstbewusstsein wird gestärkt und die Bedürfnisse aller werden berücksichtig. Dabei teilt sie ihr geballtes Wissen aus der Hirnforschung, Psychologie und über die kindliche Entwicklung.