Will dein Kind ständig seinen Kopf durchsetzen und wollte schon als Kleinkind alles allein machen, auch wenn es doppelt so lange dauert? Das Zusammenleben mit einem autonomen Kind kann sich anfühlen wie eine nie enden wollende Trotzphase, insbesondere wenn versucht wird, das Kind nach den gängigen Tipps und Standards zu erziehen. Oft ist es eine Herausforderung, ein autonomes Kind zu erkennen. Willensstarke Kinder werden die Autonomie lautstark und mit Nachdruck einfordern. Versucht man dies zu unterbinden, kann es zu Machtkämpfen und Konflikten führen.
Als etwa 6-Jährige sagte ich zu meiner Mutter: „Ich lasse mich nicht erziehen.“ Ja, ich war wohl auch ein willensstarkes Kind.
In diesem Artikel versuche ich zusammenzutragen, wie es leichter fallen kann, mit den Herausforderungen der willensstarken Kinder umzugehen und wie wir es schaffen, den Blick mehr auf die Stärken und positiven Eigenschaften zu richten. Ich bin überzeugt, dass es gelingen kann, die Autonomie zuzulassen und dabei auch die eigenen Bedürfnisse nicht aus den Augen zu verlieren, sowie eine Balance zu schaffen zwischen Nähe und Distanz.
Denn so anstrengend ein autonomes Kind sein kann – so bringt es bedeutungsvolle Eigenschaften mit und vielleicht können wir Eltern auch von ihnen lernen, wie wir klarer für unsere Grenzen einstehen können.
In diesem Artikel
Was ist ein autonomes Kind?
Ein autonomes oder selbstbestimmtes Kind möchte von Anfang an vieles selbst in die Hand nehmen. Es zeigt schon in sehr jungen Jahren einen starken Drang nach Unabhängigkeit, entscheidet gerne selbst und hinterfragt oft Regeln oder Anweisungen. Während andere Kinder vielleicht die Unterstützung ihrer Eltern geniessen, lehnen autonome Kinder diese oft ab – und das kann zu Frustrationen auf beiden Seiten führen.
Der Begriff „autonom“ beschreibt nicht nur eine willensstarke Persönlichkeit, sondern auch eine tiefe innere Überzeugung, die das Kind antreibt: „Ich will das allein schaffen.“ Das führt zu alltäglichen Konflikten, wenn etwa das Anziehen, Essen oder Schlafen nicht nach Plan läuft. Viele Eltern empfinden darum diese Kinder als anstrengend oder falsch. Insbesondere auch, weil die gängigen Ideen von Erziehung nicht zu greifen scheinen. Das kann verunsichern und möglicherweise triggern die Kinder mit diesem Verhalten Glaubenssätze und Prägungen von uns Eltern.
Die Autonomie dieser Kinder beinhaltet jedoch ein riesiges Potenzial, beispielsweise um klare Grenzen zu setzen, rasch selbstständig zu werden und eine erhöhte Fähigkeit zur Problemlösung zu lernen. Für diese Entwicklung ist es entscheidend, dass Eltern ihren Kindern altersgerechte Freiräume zugestehen und ihnen ermöglichen, eigene Entscheidungen zu treffen und zu handeln.
Der dänische Familientherapeut Jesper Juul hat sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Er geht davon aus, dass etwa 15 % aller Kinder zu den selbstbestimmten, autonomen oder willensstarken Kindern gehören. Diese drei Begriffe stehen für dieselbe Eigenschaft und ich nutze diese darum in dem Artikel als Synonyme.
Ich bin überzeugt, dass alle Kinder diese autonomen Anteile in sich tragen und die Grundsätze für den Umgang mit willensstarken Kindern auch für alle anderen Kindern gut sind. Vielleicht umso mehr, weil diese Kinder weniger lautstark für ihre Bedürfnisse und Grenzen einstehen, weswegen diese viel eher übergangen werden.
Dein selbstbestimmtes Kind
Zum Thema Willensstärke und autonome Kinder gibt es nicht besonders viel Literatur oder Informationen. Am bekanntesten ist hierbei das Buch „Dein selbstbestimmtes Kind: Unterstützung für Eltern, deren Kinder früh nach Autonomie streben“* von Jesper Juul. Er war ein dänischer Familientherapeut, der durch seine unkonventionellen Ansätze in der Erziehung bekannt wurde. Er forderte Eltern auf, sich von traditionellen, autoritären Erziehungsmethoden zu lösen und stattdessen auf eine authentische, gleichwürdige Beziehung mit ihren Kindern zu setzen. Für Juul war es wichtig, dass Kinder nicht als „kleine Erwachsene“ betrachtet werden, sondern als gleichwertige Individuen, die ihren eigenen Platz in der Welt finden müssen.
Sein Buch befasst sich mit dem spezifischen Thema der Autonomie bei Kindern. Basierend auf seinem Briefkontakt mit Eltern erklärt Juul, wie Eltern den Drang nach Selbstbestimmung akzeptieren können, ohne sich dabei überfordert zu fühlen. Er betont, dass Eltern nicht perfekt sein müssen, sondern authentisch. Wichtig sei, dass sie ihre eigene, persönliche Stimme finden und diese in der Kommunikation mit ihren Kindern nutzen.
Juuls Ansatz basiert auf drei grundlegenden Prinzipien:
- Gleichwürdigkeit: Den Kindern wird auf Augenhöhe begegnet, sie sind gleichwürdig, aber nicht gleichberechtigt.
- Authentizität: Eltern sollten ihre Gefühle und Bedürfnisse klar kommunizieren, anstatt sich hinter autoritären Regeln zu verstecken.
- Führung durch persönliche Verantwortung: Eltern sollen ihre eigenen Bedürfnisse und die der Kinder anerkennen und respektieren.
Wie du ein autonomes Kind erkennst
Willensstarke Kinder zeigen oft schon früh autonomes Verhalten. Folgende Eigenschaften können darauf hinweisen, dass dein Kind zu den Willensstarken gehört.
Merkmale autonomer Kinder:
- Unabhängigkeit im Handeln und starke Eigenständigkeit: Sie wollen möglichst alles selbst machen und akzeptieren Hilfe nur, wenn diese unaufdringlich und ohne jede Manipulation angeboten wird.
- Widerstand gegen Anweisungen und starker eigener Wille: Autonome Kinder setzen alles daran, ihre Interessen durchzusetzen und lassen sich nur schwer umstimmen.
- Ausgeprägtes Selbstbewusstsein: Sie wissen genau, was sie wollen und kennen die eigenen Bedürfnisse. Teilweise wirken sie wie Erwachsene mit einem gefestigten Selbstbild.
- Achtung ihrer Grenzen: Diese Kinder kennen und respektieren ihre eigenen Grenzen sehr genau und fordern diese auch von ihrer Umgebung ein. Sie wollen ihre Würde und Integrität wahren.
- Wahlfreiheit als Voraussetzung für Zustimmung: Ein „Ja“ geben sie von sich aus nur, wenn sie das Gefühl haben, wirklich etwas entscheiden zu können.
- Skepsis gegenüber erzieherischen Massnahmen: Belohnungs- oder Bestrafungssysteme haben auf sie oft keinen Einfluss, da sie Manipulationen schnell durchschauen und sich dagegen wehren.
- Selbstbestimmter Umgang mit Körperkontakt: Sie akzeptieren körperliche Nähe nur dann, wenn sie selbst den Wunsch danach haben – körperlicher Kontakt muss von ihnen ausgehen.
Auf diese Merkmale und Eigenschaften selbstbestimmter Kinder gehen wir im nächsten Abschnitt im Detail ein – denn diese können Herausforderung und Chance zugleich sein. Es ist nicht etwa so, dass die selbstbestimmten Kinder sich verändern oder anpassen müssten, damit wir besser zusammen klarkommen – sondern wir Eltern dürfen hinschauen und verändern, wie wir mit den Kindern umgehen möchten.
Wie gelingt ein guter Umgang mit willensstarken Kindern?
1. Unabhängigkeit im Handeln und starke Eigenständigkeit
Autonome Kinder möchten vieles selbst machen. Sie lehnen oft Hilfe ab, selbst bei Aufgaben, die sie eigentlich noch nicht besonders gut beherrschen.
Beispiel: Dein Kind besteht darauf, seine Schuhe selbst zu binden, auch wenn es ewig dauert und hinterher ein Geknote den Schuh am Platz hält anstelle einer hübschen Schleife.
Mögliche Herausforderung: Es kann teilweise viel länger dauern, wenn dein Kind Dinge selbst tun will. Vielleicht braucht es mit 2 Jahren eine halbe Stunde, um sich anzuziehen und du hast keine Chance, hinterher den Pulli noch richtig herum anzuziehen. Insbesondere, wenn ihr dringend losmüsstet, kann dies zu Konflikten führen. Somit benötigst du Zeit, Geduld und Toleranz gegenüber Dingen, die anders gemacht sind, als du es getan hättest.
Chance: Dein Kind lernt aus eigenem Antrieb viele Dinge schon früh, selbst zu tun und seine Selbstständigkeit wird so gefördert.
Wie du damit umgehen kannst: Du kannst mit deinem Kind gemeinsam Möglichkeiten finden, wo es Dinge selbst machen kann; dann fällt es leichter, dass du etwa unter Zeitdruck beim Anziehen hilfst. Es fällt leichter, diese Hilfe anzunehmen, wenn es versteht, warum dies gerade wichtig ist. Ansonsten kannst du dich vielleicht mit etwas anderem beschäftigen, während das Kind seine Schuhe bindet – beispielsweise damit, deinen Wunsch danach zu hinterfragen, dass Schuhe perfekt gebunden sein sollten.
2. Widerstand gegen Anweisungen und starker eigener Wille
Selbstbestimmte Kinder akzeptieren Anweisungen oft nicht, ohne sie zu hinterfragen. Ihnen ist es wichtig zu verstehen, warum sie etwas machen sollen, und sie möchten oft selbst entscheiden, ob sie dieser Anweisung folgen oder nicht.
Beispiel: Wenn du sagst, dass es Zeit ist, ins Bett zu gehen, sagt dein Kind: „Ich bin aber noch nicht müde“, und weigert sich, deiner Anweisung zu folgen.
Mögliche Herausforderung: Für Eltern kann es anstrengend sein, wenn sie all ihre Entscheidungen erklären sollen. Insbesondere setzt dies voraus, dass wir selbst klar haben, warum etwas so ist, wie es ist.
Chance: Dein Kind wird sich auch in der Schule und später im Berufsleben besser durchsetzen können und es wird nicht einfach irgendwelchen Vorgaben folgen. Du hast zusätzlich die Möglichkeit, deine Überzeugungen und Glaubenssätze zu hinterfragen und für dich zu schauen, ob du etwas loslassen oder verändern möchtest – denn dein Kind wird dir diese gerne immer wieder aufzeigen.
Wie du damit umgehen kannst: Finde für dich Klarheit, warum du Dinge von deinem Kind erwartest, dann kannst du diese auch kommunizieren. Warum möchtest du, dass dein Kind um 20 Uhr ins Bett geht? Prinzipiell, weil es sonst morgen früh müde ist (bist du dir sicher, dass das stimmt?) oder weil du Zeit für dich haben möchtest? Je nach Grund findet ihr vielleicht auch andere Lösungen oder du kannst deine Meinung darüber ändern, wann ein Kind ins Bett gehen sollte. Wichtig ist es insbesondere authentisch aufzutreten – das Kind merkt, wenn wir versuchen, etwas vorzuspielen.
3. Ausgeprägtes Selbstbewusstsein
Eltern autonomer Kinder kennen die Situation, wo die Bedürfnisse der Kinder und die eigenen Bedürfnisse weit auseinandergehen. Das kann ziemlich schwer unter einen Hut zu bringen sein. Dies wird nicht einfacher, wenn das Kind vehement auf der sofortigen Erfüllung seiner Bedürfnisse besteht.
Beispiel: Es wird langsam Herbst und es ist morgens kühl draussen. Trotzdem möchte dein fünfjähriges Kind keine Jacke anziehen und behauptet, ihm sei warm genug.
Mögliche Herausforderung: Wir glauben oft besser zu wissen, was unsere Kinder benötigen, als sie selbst. Beispielsweise, ob ihnen kalt oder warm ist, ob sie etwas essen sollten, ob sie schon müde sind usw. Ist das Kind autonom, kann es sein, dass es hierbei nicht auf unsere Einschätzung hören und lieber selbst spüren möchte, was es braucht. Beharren wir auf unserer Sicht, kann dies zu Konflikten führen.
Chance: Dein Kind erkennt schon früh, was es braucht und was ihm guttut. Das ist eine essenzielle Fähigkeit, die leider sehr viele Erwachsene nicht mitbringen und erst mühsam wieder lernen dürfen. In der Begleitung von Müttern kommen wir vielfach auf das Thema Bedürfnisse zu sprechen – denn ganz viele Eltern haben im Laufe ihres Lebens verlernt, auf ihre Bedürfnisse zu hören und spüren die Folgen (Erschöpfung, Stress, Burnout) erst viel später.
Wie du damit umgehen kannst: Um bei dem Jackenbeispiel zu bleiben; du kannst akzeptieren, dass dein Kind keine Jacke mitnehmen möchte, und riskierst im schlimmsten Fall, dass ihm unterwegs kalt ist oder du erklärst, dass du befürchtest, dass ihm später doch kalt werden wird und packst ihm eine Jacke ein. Alternativ kannst du dich auch auf einen Machtkampf einlassen, bis das Kind die Jacke anzieht.
4. Achtung ihrer Grenzen
Selbstbestimmte Kinder spüren ihre eigenen Grenzen in vielerlei Hinsicht – nicht nur körperlich, sondern auch emotional und mental – und verteidigen diese entschlossen. Sie legen grossen Wert darauf, dass ihre Grenzen respektiert werden, egal ob es um körperliche Nähe, persönliche Entscheidungen oder emotionale Belastungen geht.
Beispiel: Dein Kind will nach einem anstrengenden Tag nicht über seine Erlebnisse sprechen und zieht sich lieber zurück, obwohl du gerne wissen möchtest, wie sein Tag war.
Mögliche Herausforderung: Als Eltern wollen wir oft alles über den Alltag unseres Kindes wissen oder es unterstützen, wenn es Schwierigkeiten hat. Wenn dein Kind aber nicht bereit ist, darüber zu sprechen, kann das frustrierend sein und den Eindruck erwecken, es verschliesst sich vor dir. Auch kann es sein, dass das Kind seine Grenzen nicht klar kommunizieren kann (die Wahrscheinlichkeit dafür ist sehr hoch) und es zeigt diese durch ein „auffälliges Verhalten“. Gleichzeitig haben viele von uns verlernt, die eigenen Grenzen zu wahren, was es schwieriger machen kann, die Grenzen anderer zu respektieren.
Chance: Dein Kind entwickelt bereits ein starkes Bewusstsein für seine emotionalen und psychischen Grenzen. Es spürt, wenn etwas nicht in Ordnung ist und zeigt dies. Du kannst es unterstützen, dies besser in Worte zu fassen und Möglichkeiten zu finden, wie es seine Grenzen klar, aber respektvoll verteidigen kann.
Wie du damit umgehen kannst: Respektiere den Rückzug deines Kindes und gib ihm Raum, wenn es ihn braucht. Du kannst signalisieren, dass du jederzeit für Gespräche bereit bist, ohne zu drängen: „Ich sehe, dass du gerade nicht reden möchtest, und das ist okay. Wenn du bereit bist, bin ich da, um zuzuhören.“ Dadurch gibst du deinem Kind die Freiheit, selbst zu entscheiden, wann es sich öffnen möchte, und zeigst ihm gleichzeitig, dass du seine emotionalen Grenzen respektierst.
5. Wahlfreiheit als Voraussetzung für Zustimmung
Autonome Kinder sagen nur dann „Ja“, wenn sie wirklich das Gefühl haben, eine Wahl zu haben. Es ist für sie wichtig, Entscheidungen aktiv treffen zu dürfen, anstatt nur auf Vorgaben reagieren zu müssen.
Beispiel: Auf dem Spielplatz sagst du: „Wir gehen jetzt los, ist das in Ordnung?“ Dein Kind antwortet prompt mit „Nein!“, denn obwohl es wie eine Frage klingt, empfindet dein Kind es als klare Ansage, ohne echte Wahlmöglichkeit.
Mögliche Herausforderung: Es kann frustrierend sein, wenn du versuchst, dein Kind freundlich zu etwas zu bewegen und dennoch Widerstand erntest. Autonome Kinder spüren rasch, wenn ihnen keine echte Entscheidungsfreiheit gegeben wird, wenngleich du dies indirekt ausdrücken möchtest.
Chance: Dein Kind entwickelt ein starkes Bewusstsein für Selbstbestimmung und merkt sofort, wenn es keine Kontrolle über die Situation hat. Diese Fähigkeit hilft ihm dabei, später im Leben bewusste Entscheidungen zu treffen und seine Bedürfnisse klar zu äussern.
Wie du damit umgehen kannst: Gib deinem Kind echte Wahlmöglichkeiten, anstatt es mit indirekten Fragen zu lenken. Anstatt zu sagen: „Wir gehen jetzt los, okay?“, könntest du sagen: „Wir gehen in fünf Minuten los. Was möchtest du gerne noch machen, bevor wir losgehen?“ Auf diese Weise ermöglichst du deinem Kind, in den Entscheidungsprozess eingebunden zu werden, während du trotzdem die Rahmenbedingungen vorgibst.
6. Skepsis gegenüber erzieherischen Massnahmen
Belohnungs- oder Bestrafungssysteme haben auf selbstbestimmte Kinder oft keine Wirkung, da sie Manipulationen schnell durchschauen und sich gegen solche Methoden wehren. Sie lassen sich nicht durch Drohungen, Belohnungen oder Versprechen beeinflussen.
Beispiel: „Wenn du dein Zimmer aufräumst, darfst du danach eine Folge deiner Lieblingsserie schauen.“ Du fühlst dich siegessicher, doch dein Kind ignoriert das Angebot und räumt nicht auf, da es keine Lust hat, sich auf den „Deal“ einzulassen.
Mögliche Herausforderung: Es kann frustrierend sein, wenn Methoden, die bei anderen Kindern funktionieren, bei einem autonomen Kind keinen Effekt haben. Vielleicht entsteht das Gefühl einer Ohnmacht oder Hilflosigkeit, weil du keine Ahnung hast, wie du überhaupt dein Kind dazu bewegen kannst zu tun, was du von ihm möchtest.
Chance: Dein Kind lernt, seine Entscheidungen auf eigenen Bedürfnissen und Überzeugungen zu basieren, anstatt sich von äusseren Anreizen leiten zu lassen. Dies fördert seine Unabhängigkeit und seine Fähigkeit, sich nicht durch Druck oder Manipulation beeinflussen zu lassen.
Wie du damit umgehen kannst: Du kannst versuchen, öfter Klartext zu reden und authentisch zu sein. Erkläre deine Bedürfnisse und Grenzen, mach sichtbar, worum es dir geht und dass du nicht einfach aus dem Blauen heraus Dinge von ihm verlangst. Belohnungen und Strafen funktionieren ohnehin nicht wirklich, darum ist es besser, diese wegzulassen – nicht nur bei willensstarken Kindern. Erkläre stattdessen, was die Konsequenzen sind (echte Konsequenzen, nicht die erfundenen – das sind auch nur Strafen mit einem schöneren Namen); zum Beispiel: „Wenn du dein Zimmer aufräumst, hast du mehr Platz zum Spielen und du findest deine Sachen besser. Für mich ist es gleichzeitig angenehmer, mich in dem Zimmer zu bewegen und so kann ich auch mit dir spielen.“ So hilfst du deinem Kind, langfristig zu verstehen, warum bestimmte Handlungen sinnvoll sind, ohne es unter Druck zu setzen.
7. Selbstbestimmter Umgang mit Körperkontakt
Ein weiteres Anzeichen kann das Fehlen eines Bedürfnisses nach Körperkontakt sein. Autonome Kinder lehnen Umarmungen oder Kuscheln oft ab, wenn sie von ihren Eltern angeboten werden. Das kann besonders schwer zu akzeptieren sein, da Eltern dies oft als Zurückweisung empfinden.
Beispiel: Du möchtest dein Kind in den Arm nehmen, weil es sich erschreckt hat. Doch es versteckt sich unter dem Tisch und möchte nicht, dass jemand zu nahe kommt.
Mögliche Herausforderung: Es kann für uns Eltern schwierig sein, wenn das Kind uns nicht umarmen möchte zum Abschied oder es sich nicht durch eine Umarmung beruhigen lässt, wenn es völlig aufgebracht ist.
Chance: Ein Kind, welches schon früh selbst bestimmt, welchen Körperkontakt es angenehm findet und zulassen möchte und was es nicht möchte, wird später besser für sich einstehen können, wenn es gewisse Berührungen nicht möchte.
Wie du damit umgehen kannst: Gib deinem Kind Raum und Zeit. Es kann helfen, beispielsweise in der Nähe sitzenzubleiben, wenn das Kind in einer Notsituation ist und gerade keinen Körperkontakt zulassen kann. Ansonsten ist es wichtig, auch hier die Grenzen des Kindes zu wahren; wenn es keinen Kuss haben möchte, bekommt es keinen Kuss und wenn es dich zum Abschied nicht umarmen möchte, dann ist das auch okay. Geben wir den Kindern den Raum, dann kommen sie höchstwahrscheinlich wieder mehr auf uns zu.
Willensstarkes Kind begleiten ohne Machtkämpfe
Viele Eltern suchen nach einem Trick oder Kniff, um mit ihren autonomen Kindern besser zurechtzukommen. Nach Jesper Juul könnte dieser „Hack“ lauten: Beziehung statt Erziehung. Oben habe ich schon einige Tipps mit dir geteilt, wie der Umgang noch besser gelingen kann. Hier nun noch einige weitere Ideen und eine Zusammenfassung der Ideen:
- Mit dem Kind auf Augenhöhe sprechen eher wie mit einem Erwachsenen und nicht in Babysprache.
- Das Kind und seine Bedürfnisse ernst nehmen.
- Authentisch sein, klare Ansagen machen und nicht versuchen, das Kind zu manipulieren.
- Das Kind – entsprechend seinem Alter und seinen Möglichkeiten – Dinge selbst entscheiden lassen.
- Versuchen, auf Machtkämpfe zu verzichten. Stattdessen über Bedürfnisse und Gefühle sprechen (deine und die deines Kindes).
- Das Kind möglichst viel selbst machen lassen und wenn nötig dafür mehr Zeit einplanen.
- Körperkontakt vom Kind ausgehen lassen.
- Anbieten, dass sich das Kind Nähe und Unterstützung holen kann, diese jedoch nicht aufdrängen.
- Optionen und Wahlmöglichkeiten anbieten.
- Entweder eine klare Ansage machen oder eine Frage stellen / Bitte anbringen, auf die das Kind die Möglichkeit hat, auch mit einem „Nein“ zu antworten.
- Rückzugsmöglichkeiten anbieten, ohne dass sich das Kind erklären muss.
Ganz wichtig finde ich es zu erwähnen, dass du nicht jeden Wunsch deines Kindes erfüllen sollst. Hinter dem Wunsch liegt ein Bedürfnis, welches höchstwahrscheinlich auch anders erfüllt werden kann. Bedürfnisse sollen erfüllt werden (auch deine!), Wünsche nicht. Jedoch ist es wichtig, dass alle ihre Ansichten und Wünsche äussern dürfen. Die Entscheidung liegt am Ende aber bei den Eltern. Das ist für die Kinder wichtig zu wissen, damit sie Leitplanken haben, die ihnen Sicherheit spenden.
Jesper Juul beschreibt es als Balance wischen Führung und Freiheit. Kinder benötigen klare Strukturen und Führung, aber sie müssen auch die Möglichkeit haben, eigene Entscheidungen zu treffen und ihre Autonomie zu entwickeln.
Was essenziell ist für einen guten Umgang mit deinem willensstarken Kind ist eine gute Kommunikation. In meinem Workbook zur gelingenden Familiensprache teile ich viele praktische Übungen und Infos zu diesem Thema:
Auch autonome Kinder benötigen Nähe
Wichtige Bedürfnisse aller Kinder sind Nähe und Autonomie – sie bewegen sich zwischen diesen beiden Polen hin und her. Besonders bei den willensstarken Kindern kann es komisch wirken, wenn sie sich so vermeintlich widersprüchlich verhalten.
Doch schliessen sich die beiden Bedürfnisse nicht gegenseitig aus. Die Kinder benötigen die Geborgenheit und Sicherheit der Eltern, damit sie ihre Autonomie auch ausleben können. Manchmal kann es so sein, dass ein sehr selbstbestimmtes Kind sich von den Eltern die Schuhe anziehen lassen möchte, obschon es dies schon ewig selbst kann. Das ist okay. Wenn es für dich okay ist.
Auch ein sehr selbstständiges Kind hat manchmal Zweifel oder fühlt sich überfordert. Hier können die Eltern unterstützen und geniessen, dass sie für ihr Kind ein wichtiger ruhender Pol sind. Autonome Kinder möchten selbst bestimmen, aber sie brauchen gleichzeitig die Sicherheit, dass ihre Eltern für sie da sind, wenn sie Hilfe benötigen. Es geht darum, den Kindern die Freiheit zu geben, sich zu entwickeln, ohne sie dabei zu überfordern.
Was macht die selbstbewusste Reaktion meines Kindes mit mir?
Die selbstbewussten Reaktionen eines autonomen Kindes können in uns Eltern viele unangenehme Gefühle auslösen. Es kann frustrierend und ermüdend sein, wenn ein Kind auf Anweisungen mit Widerstand reagiert, keine Kompromisse eingeht oder sich weigert, auf gängige Erziehungsmethoden anzusprechen. Manchmal fühlen wir uns dadurch hilflos oder überfordert, besonders wenn es uns nicht gelingt, Situationen zu kontrollieren oder zu lenken, wie wir es vielleicht gewohnt sind. Dieser Mangel an Kontrolle kann das Gefühl verstärken, dass wir als Eltern scheitern. Wir stellen uns Fragen wie: „Warum funktioniert das nicht bei meinem Kind, was bei anderen Kindern so gut klappt?“ (vermeintlich) oder „Mache ich etwas grundlegend falsch?“
Dazu kommt, dass wir oft unbewusst eigene Prägungen und Erfahrungen aus unserer Kindheit mit in die Erziehung einbringen. Vielleicht durften wir selbst als Kinder nicht so viel Autonomie ausleben, wie wir es gebraucht hätten. Vielleicht mussten wir uns oft anpassen oder unsere Bedürfnisse zurückstellen, um den Erwartungen unserer Eltern zu entsprechen. Wenn wir nun auf ein Kind treffen, das sich seiner Autonomie bewusst ist und seine eigenen Grenzen stark verteidigt, kann das alte, unterdrückte Gefühle in uns triggern.
Diese Gedanken können dir helfen, die Autonomie deines Kindes in einem positiveren Licht zu sehen:
Wichtig ist es zu erkennen und im Hinterkopf zu behalten, dass der starke Wille und das Bedürfnis nach Eigenständigkeit keine Rebellion gegen uns sind, sondern ein Ausdruck der inneren Stärke des Kindes. Diese Selbstbestimmtheit hilft dem Kind, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen und seine Bedürfnisse klar zu formulieren – alles Fähigkeiten, die ihm im späteren Leben zugutekommen.
Gleichzeitig fordern uns die selbstbewussten Reaktionen unseres Kindes dazu auf, unsere eigenen Grenzen und Bedürfnisse bewusster wahrzunehmen. Indem wir uns mit unserer eigenen Geschichte und den Erziehungsmustern, die uns geprägt haben, auseinandersetzen, können wir lernen, wie wir authentisch mit unserem Kind umgehen und es in seiner Autonomie unterstützen, ohne dabei unsere eigenen Bedürfnisse zu vernachlässigen. Dieser Prozess ist eine Gelegenheit, als Eltern zu wachsen und eine gesunde Balance zwischen Autonomie und elterlicher Führung zu finden.
Es kann herausfordernd sein, unsere eigenen Glaubenssätze und Muster zu hinterfragen – insbesondere, wenn wir selbst als Kinder nicht die Möglichkeit hatten, unsere Autonomie auszuleben. Vielleicht spüren wir unbewusst eine Spannung, weil das Verhalten unseres Kindes alte Wunden in uns aufreisst. Doch genau hier liegt eine grosse Chance: Wir können nicht nur für unser Kind, sondern auch für uns selbst neue Wege finden, wie wir mit Autonomie und Grenzen umgehen. Dieser Prozess erfordert Mut und Geduld, aber die daraus resultierenden Erkenntnisse und positiven Veränderungen sind es mehr als wert.
Hier dürfen wir selbst hinschauen und diese Chance für unser persönliches Wachstum nutzen. Hierbei darf ich oft Mütter in meinen Coachings begleiten und staunen, wie viel Veränderung in kurzer Zeit möglich ist. Falls das auch etwas für dich sein könnte, melde dich gerne bei mir unter goni@mamaleicht.ch oder schau dich bei den Angeboten um.
Fazit: Die Autonomie eines Kindes erkennen und fördern
Am Ende dieses Weges zeigt sich: Autonome Kinder müssen nicht verändert oder „angepasst“ werden. Ihr starker Wille, ihre Eigenständigkeit und ihr Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse sind wertvolle Eigenschaften, die sie zu selbstbewussten, verantwortungsvollen Erwachsenen heranwachsen lassen. Statt zu versuchen, diese Eigenschaften zu brechen oder zu kontrollieren, liegt die eigentliche Aufgabe bei uns Eltern: Wir dürfen lernen, unseren Umgang mit diesen besonderen Kindern anzupassen und sie so in ihrer Entwicklung zu unterstützen.
Was haben wir dabei gelernt?
Erstens: Freiräume schaffen!
Autonome Kinder lieben Wahlmöglichkeiten und wollen selbst entscheiden – ob es um das Anziehen oder den Zeitpunkt fürs Schlafengehen geht. Und seien wir ehrlich, wer mag es schon, wenn ihm Entscheidungen abgenommen werden? Diese kleinen Persönlichkeiten wollen die Kontrolle über ihre Welt behalten, und das sollten wir respektieren.
Zweitens: Grenzen.
Autonome Kinder spüren ihre Grenzen ganz genau und bestehen darauf, dass diese auch respektiert werden. Das gilt für körperliche Nähe, aber auch für emotionale und mentale Belastungen. Manchmal fordern sie ihren Freiraum so lautstark ein, dass wir uns fragen: „Wollte ich in dem Alter nicht auch einfach mal meine Ruhe haben?“
Und dann ist da noch das Thema Machtkämpfe.
Das Hin und Her zwischen Ja und Nein führt normalerweise nirgendwohin, ausser in einen Konflikt. Einen Gewinner oder eine Gewinnerin gibt es bei Machtkämpfen nicht. Darum lohnt es sich, stattdessen ins Gespräch und in die Beziehung zu gehen mit deinem Kind.
Autonome Kinder fordern uns als Eltern heraus, authentisch zu sein.
Manipulative Erziehungstricks? Durchschauen sie sofort. Also lieber ehrlich und direkt kommunizieren. Klar, das bedeutet, dass wir uns selbst hinterfragen und auch mal zurücknehmen müssen, aber dabei können wir auch für uns selbst ganz viel mitnehmen. Davon bin ich eine grosse Freundin (ausser manchmal, wenn es mich selbst betrifft und ich gerade keine Energie mehr habe, um etwas zu hinterfragen oder zu lernen, sondern einfach nur meine Ruhe möchte – kennst du auch?).
Bewusster, geduldiger und ehrlicher – auch mit dir selbst
Am Ende bleibt uns nur zu sagen: Autonome Kinder lehren uns, bewusster, geduldiger und ehrlicher zu werden – nicht nur mit ihnen, sondern auch mit uns selbst. Sie benötigen keine starren Regeln, sondern liebevolle Führung und die Freiheit, ihre Welt zu erkunden. Der Schlüssel liegt darin, unsere elterlichen Strategien zu überdenken und ein Umfeld zu schaffen, in dem sie sich entfalten können. Und vielleicht finden wir dabei auch noch etwas mehr Gelassenheit für uns selbst.
Und ganz wichtig: Sei auch mit dir geduldig und nachsichtig – du darfst es anstrengend finden mit deinem autonomen Kind. Du kannst dir Unterstützung holen, Auszeiten schaffen und gut zu dir selbst schauen. Stehe für deine Bedürfnisse ein und höre nicht auf die Menschen, die etwas von „auf der Nase herumtanzen“ oder so erzählen. Diese haben entweder kein autonomes Kind zu Hause oder einfach sonst keine Ahnung. 😉
Jesper Juul: „Dein selbstbestimmtes Kind: Unterstützung für Eltern, deren Kinder früh nach Autonomie streben“, Kösel, 2022
Hi, ich bin Goni. Ich bin Mama Coach, Mentorin für eine starke und ausgeglichene Elternschaft, Dozentin für Familien- und Kindercoaches. Auch bin ich selbst Mama von zwei Kindern.
Ich unterstütze Mütter, die sich wünschen, die Zeit mit ihren Kindern mehr geniessen zu können und die ihre Kinder einfühlsam begleiten möchten. Trotz anstrengender Tage, der Erwerbsarbeit, der Partnerschaft, dem Haushalt und was sonst noch so ansteht. Gemeinsam finden wir Möglichkeiten, wie sie den Umgang mit ihren Kindern finden, den sie sich wünschen, mit mehr Freude und weniger laut werden.
Gemeinsam finden wir die passenden Stellschrauben für dich und deine Familie, für eine Elternschaft, die zu dir passt. Und plötzlich geht alles viel leichter.